Peter Valentiner. Malerei des kontrollierten Zufalls. Valentiners Bilder sehen aus wie Blicke durch ein Kaleidoskop. Das bedeutet bereits zweierlei: Zum einen liegt der Schwerpunkt auf dem spielerischen Aspekt des Mäeutischen, zum anderen sind seine Arbeiten keine starren Ansichten von etwas, das sich seinem Willen völlig entzieht. Durch Drehen des Spielzeugs kann man die Konstellation der Kristalle nach Belieben verändern oder sie absichtlich in einer bestimmten Kombination anhalten, die dann zufällig erscheint: "Mein Zufall ist nicht derselbe wie deiner", sagte Marcel Duchamp einmal.
Der magische Charakter der Bildersuche bei Peter Valentiner stellt sich als illustratives Modell für diese Feststellung dar. Mit den Gesetzen des Zufalls dringt er in Bereiche des Irrationalen vor, die sowohl für Freiheit als auch für Zwang sensibilisieren können. Grundsätzlich kann die methodische Transformation als ein bewusstes Ausbalancieren von malerischen und technischen sowie intellektuellen und theoretischen Darstellungen beobachtet werden. Sein mangelndes Vertrauen in die visuelle Realität wird durch einen durchdachten Herstellungsprozess seiner Bilder ausgeglichen, einen Herstellungsprozess, der auf dem Prinzip des Gleichgewichts beruht. das endgültige Kunstwerk ist eine Anthologie von Zitaten, was der Maler auf raffinierte Weise als gewolltes Risiko einbindet. Valentiners Geschick, das man wörtlich als abstrakt interpretieren kann, nutzt die Errungenschaft des Abziehens, um die Leinwand in eine Bilderlandschaft zu verzaubern, die wie ein Mosaik behandelt wird (François Dufrene erhielt 1957 seine dessous, d. h. die Unterschichten zerrissener Plakate, die sich als abstrakte Bilder verstehen). Darüber hinaus bezieht sich das offensichtliche Interesse des Künstlers am Kubismus weder auf den Rückzug der Farbe zugunsten der Form noch auf den skulpturalen Aspekt des Werks, das sich immer in Bewegung befindet.
Die Ansichten sind gleichzeitig eine Darstellung des Raums in der Fläche. Was Valentiner fasziniert, ist vielmehr die prismenartig zerlegte Darstellung einer Wahrheit, die in ihrer Gleichzeitigkeit normalerweise nicht erkannt wird. Darüber hinaus muss man sich bewusst sein, dass ein gewaltsamer Akt, der von der Technik und nicht von der dargestellten Sache ausgeht (Bacon), letztlich eine Situation mit unbestimmtem Ausgang erzeugt: Was entfernt wurde, ist für immer verloren, die überlebenden Formen sind unwiderruflich voneinander abhängig. Insbesondere ein Phänomen kennzeichnet diese Malerei, die es im Moment nicht eilig hat, sich von illustrativen Aspekten zu befreien, als eine originelle Position: Es handelt sich um ein Strukturprinzip, das durch kluge zufällige Anhäufungen erreicht wird und mit der Formel von der Anziehungskraft des Referenten benannt werden kann. Aus einer unzähligen Anzahl möglicher Ereignisse auf der Startseite lässt sich eine Ursache-Wirkungs-Beziehung herstellen. Valentiner trennt konzentriert und entschlossen die günstigen Fälle von diesen Eventualitäten, die zudem eine bemerkenswert intensive Affinität zu harmonischem Wechsel besitzen.
In diesem Zusammenhang erweist sich der Wille zur Tarnung als eine wesentliche Perspektive. Die Systematik der Bilderzeugung lässt sich nämlich auf Überlegungen zurückführen, die sich auf die Beobachtung von Mimikry in der Natur stützen. Daraus ergibt sich eine Täuschungsabsicht, die darauf abzielt, den Betrachter zu verblüffen, der hinter einem augenblicklichen Eindruck, den er bereits erfasst zu haben glaubte, plötzlich neue Ordnungsstrukturen entdeckt, die ihn verunsichern: Der Vergleich mit einem Tarnnetz ist gerechtfertigt. Denn Valentiners Bilder, die den imaginären Dimensionen des Unbewussten nachspüren, zeichnen sich nicht nur durch das aus, was sie an der Oberfläche offenbaren, sondern auch und vor allem durch das, was sie in der Tiefe offenbaren. verbergen oder sogar zu verbergen versuchen.
Diese kreativen Modalitäten, die mit unserer nachlässigen Bereitschaft zur flüchtigen Wahrnehmung spielen, erwecken die Illusion einer Realität, die nur den Anschein ihrer selbst hat. Die holistische Idee, die den assoziativen kombinatorischen Montagen des Malers zugrunde liegt, kann nicht durch den ersten Eindruck der Fragmentierung der Kompositionen reduziert werden; in jedem Fragment bleibt die immerwährende Idee einer absoluten Vision bestehen, die sowohl das Sichtbare, indem sie es aufzeichnet, als auch das Verborgene, indem sie es vervollständigt, einschließen muss. Die ganze Komplexität des Sehens vollzieht sich im sukzessiven Erlernen jeder Bildindividualität, so wie Valentiners Arbeiten durch ein zeitliches Moment gekennzeichnet sind: der Eindruck von Bewegung, die auditive Vision musikalisch orchestrierter Klangfarben, die Erfahrung von Rhythmus, die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Erregung und Beruhigung sind Merkmale der Schöpfung, ebenso wie Belastungen und Anspannungen, Stürze und Steigerungen.
Was zählt, ist der Zustand: Die Beherrschung des Augenblicks hält die Bilder in einem nervensensiblen Schwebebereich zwischen Eigensinn und Bezugnahme, der eine magnetische Anziehungskraft ausstrahlen kann. Ein Beispiel (Blue Night Shadows 1984) illustriert dies: Vor einem undefinierbaren Bildhintergrund in konsequentem Schwarzblau schweben unregelmäßige, klar differenzierte und eingefügte Farbflecken von unterschiedlicher Größe und Form; sie behaupten ihre flächige Struktur. Aber bedeutet das Fehlen einer geometrischen Perspektive auch das Fehlen von Räumlichkeit? Wahrscheinlich nicht. Wie könnte man sonst von Schweben, von Bewegung sprechen? Es muss eine andere Art von Raum geben, in den uns das Bild entführen will. Dieser imaginäre Raum, der sich über die Grenzen des Bildes hinaus fortzusetzen scheint, ist unerreichbar und geheimnisvoll. Der Betrachter kann drei illusionäre Ebenen unterscheiden, nicht zuletzt aufgrund ihres geringen Höhenunterschieds: die unwirkliche Präsenz des blau-monochromen Hintergrunds, der ihm keinen auch noch so trügerischen Anhaltspunkt wie eine messbare Tiefe sichert, sowie zwei sich überlappende Schichten von farbigen Formen. Die stille, ja apathische Existenz des Hintergrunds scheint von großer Dringlichkeit zu sein. Dieser Hintergrund scheint im Vergleich zu den präzisen Prozessen des Augenblicks, die die beiden anderen Ebenen beherrschen, nahezu unberührt zu sein.
Er muss aber auch als ein umhüllendes Medium betrachtet werden, vor dem sich alle Ereignisse abspielen und das in allen Dingen wirkt. Da es sich gleichzeitig öffnet und schließt, kann das Schwarzblau als ein möglicher Ausdruck von Transzendenz betrachtet werden. Blau ist immer schattiert und tendiert in seiner größten Pracht zur Dunkelheit.
Es ist ein ungreifbares Nichts und doch präsent wie die transparente Kugel (Itten). Diese Gesamtkonzeption wird durch den fragmentarischen Charakter der streng konturierten Farbinseln konterkariert, die sich auf den ersten Blick frei bewegen. Ihre unregelmäßigen Umrisse schwanken zwischen langen geraden Schnitten und spitzwinklig gezackten Bruchkanten. Während ihrer Abwärtsbewegung, die zum Fallen neigt und sich so wenig durch ihre kaum vorhandene Schwere erklären lässt, überdecken die vorderen Farbsegmente die darunter liegenden. Die nur aus modulierten Orangetönen entwickelte Lichtschicht besteht aus sieben einzelnen Elementen, die (als Hilfe für die Plastik) stelenartig eingesetzt werden. Durch ihre bewusste Einfügung in die Bildstruktur, die gewissermaßen als Strebepfeiler fungiert, wird das Bild in seinem dominanten vertikalen Teil formal geteilt.
Die hohe rechteckige Fläche ist nicht horizontal strukturiert. Farblich gesehen verhalten sich die langen orangefarbenen Striche in einem extremen Hell-Dunkel-Kontrast zu dem sie umhüllenden Schwarzblau; das vergeistigte Blau erinnert fast an seine Gegenfarbe Orange. Während das im Hintergrund stehende Blau introvertiert wahrgenommen wird und eine suggestive Wirkung haben kann, ist Orange mit einer strahlenden Energie ausgestattet. Oft nähert es sich einem flammenden Rot-Orange an oder wird mit einem vegetabil anmutenden Olivton eingefärbt. Die Farbe erreicht so eine neue Qualität, eine andere Materialität als die der Grundfarbe.
Zwar lassen sich auf den farbigen Formen des zentralen Hintergrunds vereinzelte Spuren gestischen Zeichnens erkennen, doch sind sie im Vordergrund von einem dynamischen Eigenwillen geprägt. Die von einer spontanen Erregung geleitete Schrift erscheint wie eine Choreografie. breite Pinselstriche, die durch prismatische Lasuren vitalisiert werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass die einzelnen Farbfragmente einst Teil eines Ganzen waren. Die gedämpften Farben des Vordergrunds reichen von einem durch Weiß verklärten Blau in der oberen rechten Ecke über ein durch Rot dramatisch aufgewertetes Grau bis hin zu lichtgedämpften Nuancen im sensiblen hellblau-rosa Bereich in der Bildmitte, die sich nach unten hin zu einem erdigen Ockerolivwert verflüchtigen, der in einem stumpfen, glühenden Rot endet. Alle verbleibenden Fragmente können noch eine Vorstellung von der Kraft der versammelten Farben vermitteln, insbesondere die rechte Hälfte des Bildes, wo das Rot des unteren Randes als Kontrapunkt zum Blau des oberen Randes gesetzt ist; an den Fragmenten dazwischen lassen sich noch die Übergangsklänge von einer extremen Farbe zur anderen nachvollziehen.
Formal gesehen spielt die Anordnung der sieben Teile der Vordergrundfläche Das hellste Modell die Rolle des Zentrums für das gesamte Bild und für die Fragmente, die es umgeben. Die Frage, die sich hier stellt, ist die nach den Beziehungen zwischen den verschiedenen Elementen dieses Organismus, der das Gemälde ist. Ist es nicht gerade die Organisation des Gesamtbildes, die die Desorientierung des Betrachters verhindern kann? Wir müssen von Spannungen sprechen, von Spannungen zwischen dem zeitlosen Blau des Hintergrunds und der vorübergehenden Atmosphäre des Spiels von Formen und Farben, von Spannungen zwischen den antagonistischen vertikalen und kreisförmigen Bewegungen, von sorgfältig ausbalancierten Spannungen zwischen Chaos und Ordnung, Gelassenheit und Ernsthaftigkeit, Freiheit und Ungebundenheit. Die Form ist nicht der Ausdruck des Inhalts, sondern nur sein Ansporn, die Tür und der Weg zum Inhalt. Wenn sie wirkt, öffnet sich auch der verborgene Hintergrund, wie Franz Kafka, der Mann mit den Augen, weiß.
Martin Hildebrand
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